Musicbox und BonanzaHorst

Die Schule fing wieder an und die Siedlung versank in dem ihr ganz eigenem Rhythmus. Die Erwachsenen fuhren wieder zur Schicht, die Kinder pilgerten brav zur Schule. Die Grundschule war schon etwas älteren Semesters, aber das Schulzentrum mit neu gebauter Haupt- und Realschule war gerade erst gegründet worden. So gab es mittags an den vielen gedeckten Tischen einiges zu erzählen von neuen Lehrern, neuen Schulen und neuen Freunden. 

Bei mir folgte der Tag einem eigenen Schema. Den morgendlichen Teil verbrachte ich wie alle anderen in der Schule. Schule war ganz nett- die meiste Zeit sehr interessant, aber mein Leben spielte sich nach Erledigung der Hausaufgaben draußen ab. Eine der aufregendsten Zeiten des Tages war die Mittagszeit. Ich kam aus der Schule heim zu Oma. Dort wohnte zu der Zeit noch meine Tante Rosi. Sie hatte gerade ihre Friseurinnen-Lehre abgebrochen und lungerte -sehr zum Unmut meiner Großeltern- zuhause rum. Ich mochte es sie zu ärgern und sie genoss es, wenn sie mich plagen konnte. 

Mittags, wenn ich aus der Schule kam, lief im Radio die SWF3- Musicbox. Ich glaube alle haben sie gehört- immerhin war der damalige Südwestfunk der erste Sender der ARD, der eher für junge Leute sendete. Jahre später war bei mir im Küchenradio und im Autoradio ganz klar 97.5 UKW eingestellt. Bis heute wechsele ich zu SWR3, wenn ich aus dem Bereich des Saarländischen Rundfunks Richtung Siedlung herausfahre. Also Rosi, die etwa 14 Jahre älter als ich war, war völlig darauf versessen die neuesten Hits auf SWF3 zu hören- und ich- ich war darauf aus, ihr einen Strich durch die Rechnung zu machen. Wenn ich nach hause kam, rannte ich zum Radiorecorder, vor dem meine Tante schon mit großen Ohren saß. Sofort entstand ein Gerangel, bei dem meine Tante zumeist den Kürzeren zog. „Weg da, du Mistkröte! Da läuft gerade das neueste Lied von Kim Wilde! Finger weg vom Radiorecorder“ „Lass mich meine Kassetten einlegen!“ Sie versuchte mich weg zu drücken- keine Chance. Ich schaltete auf Kasettenmodus und warf meine HanniNanni oder BlackBeauty Märchenkassetten ins Kassettendeck. Rosi schaute hilfesuchend zu meiner Oma, die während unserer mittäglichen Auseinandersetzungen ganz oft am Herd gerade das Mittagessen zubereitete. Sie schaute dann die meiste Zeit nur mit mildem Blick zu uns herüber und antwortete mit „Ach lass das Kind doch!“„Mamme, das kann doch nicht dein Ernst sein! Sie macht das jeden Tag!“ Mit energischem Ton versuchte sich meine Tante zu behaupten. Aber meine Großmutter hatte das schlagendste Argument von allen: „Musst du nicht Bewerbungen schreiben? Hast du überhaupt Zeit dir diese ganze Musik anzuhören? Ich schau mir das nicht mehr lange an, dass du zu Hause sitzt und nichts machst!“ Rosi war dann beleidigt und still. Sie hatte dem nichts entgegen zu setzen. Schmollend zog sie sich zurück in ihr Zimmer. Meistens kam sie dann noch nicht mal mehr zum Essen runter. Sie protzte in ihrem Zimmer auf ihrer grünen Cordcouch und drehte die Rolling Stones so laut auf, dass ich unten kaum meine MärchenKassetten hören konnte und Oma am Rande des Nervenzusammenbruchs war. Oft gipfelte das ganze dann in einer Auseinandersetzung zwischen den beiden, bei der dann mein Großvater am Ende das Machtwort sprach. Die Diskussionen zwischen meiner Tante und meinen Großeltern hab ich eigentlich nur so am Rande mit beobachtet, für mich war wichtig, dass ich mich mit meinen Märchenkassetten durchgesetzt hatte. Ich hatte gewonnen- wie so oft bei Oma. 

Unsere Familie umfasste aber nicht nur Oma, meine Tante, mich, nein- da war auch noch meine Uroma. Sie war keine Kübelbergerin, sie wohnte zwar in Schönenberg, stammte aber aus Brücken. Uroma hatte irgendwann meinen Uropa Richard aus Schönenberg geheiratet, auf dem Sandhiwwel ein Haus gebaut und dort ihre Söhne und Töchter großgezogen. Sie hatte viel erlebt und im Laufe der Jahre hatte ihr Gehör gelitten. Ich habe es oft erlebt, dass gerade bei älteren Leuten eine Art selektives Gehör einsetzt- aber bei meiner Uroma Krupp war das eine AltersAngelegenheit. Elsa, die klein und zierlich, immer brav an der Seite meines als sehr sturen und eigensinnig geltenden Urgroßvaters verbrachte, teilte mit mir und meinem Cousin Alex- den beiden jüngsten Sprossen- eine Vorliebe für Cowboy-Filme. Winnetou stand bei ihr wie bei uns hoch im Kurs- die Cartwrights aus Bonanza waren quasi schon Teil der Familie. Einmal danach gefragt, weshalb sie nicht so kochen würde wie deren chinesischer Koch Hop-Sing, antwortete sie in ihrer unverfälschlichen Art: „Die Chinesen essen so viel Hund- und das möchte ich auf keinen Fall essen!“ Es gab Ende der 70er, Anfang der 80er ein Bonanza-Kochbuch, dass ihr meine Cousine Agnes, die mit ihr im Haus wohnte, mal zu Weihnachten geschenkt hatte. Elsa rührte es nicht an- sie hatte so große Angst davor, darin könnten sich wirklich Hunderezepte befinden, dass es bis zu ihrem Ableben unbenutzt im Regal stand. Heute ist es in meinem Besitz und ich muss jedes Mal lachen und an Uroma denken, wenn ich es in die Hand nehme. Wie schon gesagt, hatte Uroma Elsa schon viel erlebt und die Amerikaner, die nach dem Krieg Einzug in Schönenberg und Kübelberg hielten, waren ihr zu Anfang recht suspekt. Als sich dann Fernsehen und amerikanische Serien in die Kruppsche gute Stube  in der Zwerchstraße einschlichen, da konnte sich UrOma erst richtig mit der damaligen Besatzungsmacht anfreunden. Die Amipfalz wurde geboren und nicht nur meine Urgroßeltern profitierten- wie so viele andere- von den Neuankömmlingen. Nur mit den amerikanischen Namen hatte Elsa ihre Probleme- Ben Cartwright, Little Joe und Adam konnte sie gut verstehen. Nur mit einem Namen der CartwrightBrüder— der ihr zudem noch am Besten gefiel- konnte sie nix anfangen. Er irritierte sie vollends. Irgendwann besuchte sie uns auf der Siedlung. Wir saßen in Omas Kneipe bei Kaffee und Kuchen- und da waren zwei Amerikaner, die sich ein deutsches Bier gönnten. Ich kann mich so gut erinnern. Die beiden waren in Uniform und stießen auf ihren Dienstschluss an. Sie grüßten zu Uroma und mir herüber, hoben ihre Barette „Good Evening, Ma’am!“ und erzählten miteinander. Uroma hatte am Abend zuvor die neueste Folge Bonanza geschaut und wollte nun Klarheit über den Namen, den sie nie richtig verstand. Die beiden Amerikaner schienen ihr von Natur aus geeignet zu sein, ihre Frage über den schwergewichtigsten Sohn der Cartwright zu klären. Völlig unerwartet für uns erhob sie sich von unserer Kaffeetafel und ging zu den Soldaten hinüber. „Guten Tag die Herren! Woher kommen sie denn?“ Oma war klar, dass nur jemand aus Texas oder den wilden Westen diese Frage richtig beantworten konnte. Eine der beiden Amis schaute sie an lächelte und sagte auf deutsch „Heute aus Miesau, Ma’am“ Oma schaute etwas verdutzt, weil sie diese Antwort nicht erwartet hatte. „Aber sie sind doch Amerikaner? „Ja das sind wir. Aber mein Großvater ist vor dem Krieg nach Amerika ausgewandert. Deswegen kann ich auch deutsch sprechen. Er kam aus Brücken und ist dann nach Denver gezogen. Ich komme also aus Denver!“ UrOma schaute mich an: „Liegt Denver im wilden Westen?“ „Bestimmt!“ antwortete ich, obwohl ich keine Ahnung hatte, wo Denver lag. Ich kannte nur den „Denver-Clan“ und den kannte Uroma auch, aber da ging es um Öl und nicht um den wilden Westen. Sie ließ nicht locker und fragte weiter: „Liegt Denver denn im wilden Westen?“ Der Amie schaute sie amüsiert an: „Ja im Süden und im Westen zu zu sagen.“ Damit war Oma zufrieden. Die Kompetenz ihre so dringliche Frage zu beantworten war also festgestellt und sie freute sich sichtlich. „Also Sie müssen mir bitte eine Frage beantworten: wieso haben alle Söhne von Ben Cartwright bis auf Horst englische Namen?“ Der Ami versuchte höflich zu bleiben und sich das Lächeln zu verkneifen. „Ma’am, da haben sie vielleicht etwas falsch verstanden. Der Sohn – sie meinen den fülligeren- der heißt HOSS!“ Uroma schaute ganz verdutzt und sagte: Ja, ja, HORST Cartwright. Ich sag’s doch! Ist das nicht seltsam?“ „Ma’am, er heißt wirklich Hoss, nicht Horst.“ „Jaja, HORST ist wirklich seltsam für die Cartwrights! Deswegen frag ich sie ja. Wie heißen sie denn?“ „Ich heiße Siggi, wie mein deutscher Großvater.“ antwortete der Amerikaner „Also, das ist auch kein amerikanischer Name- bestimmt hatte der Horst Cartwright auch deutsche Vorfahren. Bestimmt eine deutsche Mutter. Die haben sie in der Serie wohl vergessen- oder ich habe es überhört – wissen sie, ich höre nicht mehr gut.“ Der Amerikaner schaute mich lächelnd an und fragte: Und wie heißt du?“ „Nadine!“ „Na, dann bist du wohl Französisch!“ „Nein, mein Herr, sie ist deutsch, ganz so wie der Horst Cartwright!“entgegnete ihm Uroma. Jeder musste lachen, die ganze Kneipe lachte und Uroma stand entrüstet mittendrin. „Jetzt könnt ihr lachen, aber ohne mich wäre die Sache mit dem Bonanza-Horst nie geklärt worden!“ Das Lachen der anderen Gäste schallt mir immer noch in den Ohren, Uroma musste irgendwann mitlachen-  ich werde diesen Moment nie vergessen. 

Veröffentlicht von Nadine Becker

Seit vielen Jahren lebe ich in der deutsch-französischen Grenzregion, in der wunderbaren Kleinstadt Sarreguemines. Mein Leben ist franco-allemand.

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